"Am 24. August 1899 stiegen von Mals zur Schlinigpasshütte hinauf die
Herren Professor
Dr. Grabendörfer, damaliger 1. Vorsitzender unserer Sektion, Architekt
Maler, Emil und Adolf Witzenmann. Sie wurden begleitet von Baumeister
Wallnöfer aus Mals, der dann den Bau ausführte, und einigen
maßgebenden Gemeinderatsmitgliedern der grundbesitzenden Gemeinde
Schlinig.
Die für den Bau geeignete Stelle, etwas unterhalb der langgestreckten
Passfläche gelegen, ungefähr 2 km von der Schweizer Grenze entfernt,
konnte ausgewählt und sogleich ein vorläufiger Kaufvertrag, zwischen
unserer Sektion und der Gemeinde Schlinig, abgeschlossen werden, zum
Kaufpreis von 20 Gulden.
In der Sektionshauptversammlung am 9. Oktober 1899 wurde der Bau auf dem
gewählten Platz einstimmig beschlossen. Architekt Maler lieferte den
Hüttenbauplan.
Im Jahre 1900 wurde rasch uns Werk gegangen, wobei uns Dr. Heinrich
Flora aus Mals aufs vortrefflichste unterstützte. Im Sommer 1900 wurde
der Rohbau errichtet. Der Frühsommer 1901 war dem inneren Ausbau und
der Einrichtung unserer Hütte gewidmet. Am 16. Juli 1901 öffnete die
Pforzheimer Hütte ihre Pforten.
Eine feierliche Einweihung führte am 20. August 1901 über 170 Personen
zusammen, neben vielen Mitgliedern unserer Sektion, Gäste aus
Deutschland, Österreich und der nahen Schweiz. Nach der kirchlichen
Weihe wurde das vollendete Werk in vielen Reden gefeiert.
Die Hütte war ein recht stattlicher, doch etwas nüchtern wirkender
bau, der in seinem Innern besonders gemütlich gewesen sein soll. Im
Erdgeschoss befanden sich Küche und Gastzimmer, im Ober- und
Dachgeschoss 6 Zimmer mit 12 Betten und ein Matratzenlager. Von der
nahen Quelle wurde das Wasser ins Haus geleitet.
Adolf Witzenmann war der erste und einzige Hüttenwart der Sektion. Er
unterließ nichts, was die Hütte fördern und verbessern konnte, und
unternahm alles, um unser erstes Hüttengebiet in Bergsteigerkreisen und
im alpinen Schrifttum bekannt zu machen.
Vom Jahre 1907 an zogen die hochalpinen Skiläufer ins Hüttengebiet
ein, für das und seiner weiteren Umgebung, unsere Sektion einen
Skiführer, von Fritz Becker, verfassen ließ. Auch für die Geologen
war es ein wichtiges Gebiet.
So war es eine natürliche Entwicklung, dass der Besuch, der zuerst im
Sommer nur etwa 100-150 Bergsteiger und Bergwanderer auf unsere Hütte
führte, immer stärker anwuchs, besonders nachdem im Jahre 1906 die
Vintschgaubahn Meran-Mals ihren Betrieb aufnahm und vor allem nachdem im
Jahre 1910 der kühne, von unserer Sektion gebaute Felsenweg, durch die
obere Schlucht des Uinatales eröffnet wurde, der nun das Unterengadin
unmittelbar mit dem Vintschgau verband. Fast 600 Besucher zählte im
Jahre 1911 unsere Hütte, in der ganzen Zeit von 1901-1914 3.500
Gäste.
Erweiterungspläne mussten deshalb gemacht werden, die im Sommer 1915
verwirklicht werden sollten. Doch es kam anders. Der Erste Weltkrieg
brach aus und 18. September 1914 schloss unsere Hüttenpächterin Frau
Maria Kiem, welche die alte Pforzheimer Hütte seit 1901 betreute, und
die von allen Besuchern stets uneingeschränkt gelobt wurde, zum
letzten Male, nach 14 Sommern, die Hütte ab.
Ziemlich fern von der Ortlerfront, nahe der schwerbewachten Schweizer
Grenze lag die alte Pforzheimer Hütte während der Jahre 1914-1918 im
Dornröschenschlaf, bis sie nach Ende des Krieges von italienischen
Alpini besetzt wurde.
Von nun an diente die Hütte den italienischen Grenzwächtern als
gelegentlicher Stützpunkt an einem immer noch nicht erlaubten
Grenzübergang. Die "Sezione Milano" des CAI, der nun die
"Rifugio Rasass" heißende alte Pforzheimer Hütte, nach dem
Friedensvertrag von St. Germain gehörte, schien kein Interesse zu
haben, sie zu pflegen.
So ist Gutes vergangen ...
Geblieben ist und bleiben wird dagegen, in unserem alten Hüttengebiet,
der auf Schweizer Boden liegende Felsenweg durch die obere Schlucht der
Uinatals. Ein schöner, direkter und eigentlich auch bequemer Übergang
vom Unterengadin über den Schlinigpass ins Vintschgau in Südtirol, war
damit geschaffen.
Schon im Jahre der Eröffnung unserer alten Hütte im Jahre 1901 hatten
Adolf Witzenmann und andere Mitglieder unserer Sektion die obere
Uinaschlucht und ihre Wände erkundet. (...) Nach dieser Erkundung stand
fest, dass die einzige, befriedigende Lösung ein Weg war, der von Inner
Uina aus, an den Talhängen ansteigend, die östlichen Felswände hoch
oben erreichte und in sie eingesprengt (...) zum oberen Schluchtende
hinaufführte. Ein solcher Weg wies die günstigsten
Steigungsverhältnisse auf. Seine Anlage war vor Beschädigung ziemlich
geschützt, große jährliche Ausbesserungskosten konnten erspart
werden.
Er versprach aber auch ein Schaustück zu werden, das allen ähnlichen
Wegen in den Alpen zur Seite stehen konnte (...).
Im Januar 1904 lieferte Ingenieur Coray einen durchgearbeiteten
Vorschlag mit einem Kostenvoranschlag von 34.000 Schweizer Franken.
Zunächst begegneten der Verwirklichung des Planes große
Schwierigkeiten (...) bis es im Jahre 1908, dem unermüdlich, im Sinne
der Sektion Pforzheim wirkenden Amtstierarzt, Dr. Vital, aus Sent
gelang, seiner Heimatgemeinde, zu der das Uinatal gehörte, eine
50-prozentige Beihilfe des Kantons Graubünden zu sichern und noch
einige andere Spenden zu sammeln. So musste die Sektion nur noch 14.000
Schweizer Franken aufbringen (...).
Noch im Jahr 1908 wurde mit den Arbeiten begonnen, welche die Firma
Baratelli 1910 beendete. Der ganze Wegbau kostete 32.500 Franken (...).
Mehr als 1000 Meter Weglänge, bis zu 100 Meter über dem Schluchtgrund,
mussten in einer Breite von 130 cm aus der fast senkrechten Felswand
ausgebrochen werden, meist als felsüberdachte Galerie mit 2 Tunnels.
Viele hundert Besucher stiegen in den nächsten Sommern auf diesem Weg
zu unserer alten Hütte, besonders in dem berühmten Schönwetterjahr
1911."
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